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Freitag, 19. April 2024
   
 

Unvergessene Weihnachten - die sechste Geschichte

Später Besuch von Eckhard Müller



Oberholz bei Much, Rhein-Sieg-Kreis im Bergischen Land; Dezember 1945

Es war Anfang Dezember 1945. Der Zweite Weltkrieg hatte sein Ende gefunden. Seit einem halben Jahr schwiegen die Waffen. Wir erwarteten das erste friedliche Weihnachtsfest seit sechs Jahren.

Das Leben hatte sich zunehmend normalisiert. Obwohl die Menschen in unserer ländlichen Gegend nicht in so hohem Maße unter dem Bombenterror zu leiden brauchten wie die Menschen in den Städten, war auch hier der Kriegsschrecken nicht spurlos vorübergegangen. Nun hieß es, zusammenrücken, denn der Strom von Flüchtlingen und Obdachlosen aus den Ostgebieten und aus den Großstädten hielt an. Wer noch ein Zimmer oder eine Kammer in seinem Hause zur Verfügung stellen konnte, nahm eine Flüchtlingsfamilie bei sich auf. Es gab eine für heutige Verhältnisse unvorstellbare Solidarität. Das wenige, das man selber noch besaß, wurde geteilt mit denen, die alles verloren hatten.

Unser kleines Fachwerkhaus, das ich mit meinen Eltern und mit meiner Großmutter bewohnte, teilten wir seit den letzten Kriegstagen mit einem älteren Ehepaar. Es waren entfernte Verwandte, und sie hatten in einer Bombennacht ihre ganze Habe verloren. Nun waren sie froh, bei uns wenigstens wieder ein Dach über dem Kopf gefunden zu haben.

Die Militärregierung der Siegermächte hatte die zivile Verwaltung in ihre Hand genommen und somit Gesetz und Ordnung wiederhergestellt. Trotzdem waren die Zeiten noch sehr unruhig. Immer wieder machten umherstreunende Banden von sich reden. Es entstanden die wildesten Gerüchte. Man hörte von Greueltaten - auch aus einigen Dörfern in unserer Gemeinde. Denn der Schutz des Gesetzes war noch nicht überall gewährleistet.

Diese umherziehenden Gruppen setzten sich zum großen Teil aus ehemaligen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aus Osteuropa zusammen. Nach Wiedererlangung ihrer Freiheit waren viele von ihnen nicht mehr gewillt oder in der Lage, in ihre Heimat zurückzukehren. Was man ihnen nicht freiwillig gab, nahmen sie sich mit Gewalt. Dabei kam es auch verschiedentlich zu Übergriffen und Racheakten gegenüber ihren früheren Unterdrückern.

Nach Einbruch der Dunkelheit war es ratsam, Fenster und Türen gut zu verschließen. Wer draußen noch irgendeine Arbeit zu verrichten hatte, trug Sorge, sich nicht allzuweit von den schützenden Häusern zu entfernen.
 
Es war an einem solchen Abend in der Vorweihnachtszeit, ich glaube, es war am Abend des zweiten Advent. Meine Eltern waren eben mit der Stallarbeit fertiggeworden und wir schickten uns an, das Abendbrot zu essen, als plötzlich an unsere Haustür geklopft wurde. Mein Vater begab sich nach draußen, um nachzuschauen. Neugierig gesellte ich mich zu ihm. Ich war damals neun Jahre alt.
Da stand in der Dunkelheit ein gutes halbes Dutzend Männer. In gebrochenem Deutsch baten sie um ein Quartier für die Nacht.

Zögernd ließ mein Vater sie eintreten. Nachdem sie in unserer Wohnstube Platz genommen hatten, konnten wir sie im Scheine der Lampe näher betrachten. Sehr vertrauenerweckend sahen sie nicht aus. Das Leben auf der Landstraße hatte sie gezeichnet.

Während meine Mutter das Abendbrot zubereitete, versuchte mein Vater etwas über das Schicksal der Männer zu erfahren. Nach der einfachen, mit wenigen Mitteln zubereiteten, aber kräftigen Mahlzeit wurde beratschlagt, wie und wo man die Männer für die Nacht unterbringen könnte.

Im Hause selber war es, nicht zuletzt durch unsere Verwandten als neue Mitbewohner, ziemlich eng geworden. Also blieb nur noch die Scheune. Im Scheunenanbau befand sich der Holzschuppen, dort lagerte auch das Heu als Wintervorrat für unsere beiden Kühe. Hier im Heu richteten nun meine Eltern mit allerlei Decken und alten Mänteln ein warmes und bequemes Nachtlager her. Unsere alte Petroleumlam-pe sorgte für die nötige Helligkeit.

Kurz vor Schlafenszeit entschloß sich mein Vater zu einem "Kontrollgang", wie er sich ausdrückte. Es ließ ihm nämlich keine Ruhe, ob sich unsere Gäste auch an die Abmachung gehalten hatten, wegen der großen Brandgefahr auf das Rauchen zu verzichten. Meine Mutter bat mich mitzugehen. Im Beisein eines Kindes - so meinte sie - wäre mein Vater sicherer vor eventuellen Übergriffen.

Als wir den Holzschuppen betraten, bot sich uns im Schein der Laterne ein Bild, das ich bis heute nicht vergessen habe: Da hatte sich ein Teil der Männer unserer Sägen bemächtigt und sie schnitten nun die schweren Stämme, die hier als Brennholz lagerten, in Ofenlänge durch. Die anderen spalteten die klobigen Klötze mit dem Beil zu handlichen Scheiten und stapelten sie auf. Das alles bereitete ihnen ein sichtliches Vergnügen, umso mehr, als sie nun unsere ungläubigen und erstaunten Blicke sahen. Sie erklärten, das sei nur ein kleiner Dank für die freundliche Aufnahme.

Am anderen Morgen sind sie dann nach einem guten Frühstück - nicht ohne ein großes Butterbrotpaket, das jeder von ihnen zum Abschied in die Hand gedrückt bekam - weitergezogen, einer ungewissen Zukunft entgegen.

Viele Jahre sind seitdem ins Land gegangen, doch immer wieder muß ich an jenen Dezemberabend denken, an dem die Angst, die Voreingenommenheit und das Mißtrauen besiegt wurden durch ein wenig Menschenfreundlichkeit.



Die Geschichte "Später Besuch" ist in Band 1 der Buchreihe "Unvergessene Weihnachten" aus dem Zeitgutverlag Berlin (Preis:  8,90 Euro, ISBN 978-3-933336-73-6) erschienen.

Foto: Pixabay

 

Veröffentlicht am: 06.12.2022

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