Passive Anlagestrategien gelten als kosteneffizient und neutral – doch der Schein trügt. Die großen Indexanbieter agieren als unsichtbare Fondsmanager, ihre wachsende Marktmacht verzerrt die Kapitalallokation und produziert systemische Risiken. „Diese Risiken werden häufig unterschätzt“, mahnt Thorsten Fischer, Managing Director und Head of Portfolio Management bei Moventum AM. Um sie zu kompensieren, sei eine taktische Anlagepolitik erforderlich.
Passive Investmentstrategien, die sich an Börsenindizes orientieren, gewinnen seit Jahren an Bedeutung. Der Erfolg von ETF & Co. basiert auf dem Versprechen geringer Kosten, hoher Transparenz und langfristiger Performance. Doch was viele Anleger übersehen: Die wachsende Kapitalmacht der großen Indexanbieter wie MSCI oder S&P birgt tiefgreifende Risiken für die Stabilität der globalen Finanzmärkte. Was auf den ersten Blick nach Neutralität aussieht, ist in Wahrheit hochgradig regelbasiert und unterliegt weitreichenden Annahmen, die oft nicht hinreichend reflektiert sind.
Die Zusammensetzung gängiger Indizes richtet sich nicht nach betriebswirtschaftlicher Substanz, sondern nach Marktkapitalisierung, Börsenumsätzen oder Sektorzugehörigkeiten. So entstehen strukturelle Verzerrungen in der Kapitalallokation. Ein Beispiel sind Technologieriesen wie Nvidia, Microsoft oder Apple, deren Marktkapitalisierung zwischen drei und vier Billionen Dollar liegt. Allein der Börsenwert von Nvidia ist in den vergangenen zwei Jahren um drei Billionen Dollar gestiegen. Hier sind selbstverstärkende Mechanismen am Werk: Ein hohes Gewicht der Aktie im Index treibt passive Investments in diesen Wert. Das lässt den Kurs steigen, was die Überbewertung verschärft und damit auch das Indexgewicht weiter erhöht – ein Mechanismus ohne Bezug zur realwirtschaftlichen Entwicklung.
„Ein weiteres Problem“, erklärt Fischer, „liegt in den Klassifizierungen durch Indexanbieter.“ So werde Südkorea trotz modernster Infrastruktur und wirtschaftlicher Stärke weiter als Schwellenland eingestuft. Griechenland wiederum – EU- und Eurozonen-Mitglied – firmiert in einigen Indizes als Emerging Market. Solche Urteile beeinflussen Milliardensummen an Kapitalbewegungen.
Während aktive Manager eigene Entscheidungen treffen und in Phasen erhöhter Volatilität gegensteuern können, fehlt passiven Strategien genau diese Flexibilität. Bei starken Marktkorrekturen drohen massive Kapitalabflüsse: nicht aufgrund fundamentaler Faktoren, sondern allein durch indexgetriebenes Rebalancing. Damit fehlt den Märkten ein stabilisierender Anker: „Wenn alle passiven Anleger gleichzeitig verkaufen, kann das zu abrupten Preisverfällen führen“, so Fischer. Die starke Marktkonzentration verstärkt diesen Effekt zusätzlich. Passive Produkte reagieren zunehmend identisch – und machen damit systematisch dieselben Fehler.
Ein weiteres Defizit liegt im Bereich ESG (Environment, Social, Governance). Klassische Indizes berücksichtigen Nachhaltigkeitsaspekte vielfach nicht, obwohl die Nachfrage nach ethischen, ökologischen und sozial verantwortlichen Investments stark wächst. Zwar existieren ESG-Varianten vieler Indizes, doch deren Methodiken sind intransparent und uneinheitlich: ein klarer Nachteil gegenüber gezielter Titelauswahl in aktiv gemanagten Portfolios.
Man müsse nun umdenken, sagt Fischer: „Die systemischen Schwächen passiver Strategien öffnen die Tür für eine Renaissance aktiver Ansätze. Besonders in Multi-Asset-Strategien und diversifizierten Portfolios kommt der taktischen Allokation eine wachsende Bedeutung zu.“ Qualitätskriterien, fundamentale Bewertungen, ESG-Faktoren und regionale Einschätzungen können dabei helfen, das Passivrisiko gezielt zu reduzieren und die Performance zu verbessern.
„Passives Investieren ist nicht per se schlecht“, stellt Fischer klar. „Doch die Annahme, es sei risikoneutral und letztlich immer lukrativer, ist schlicht falsch.“ In einem Umfeld geopolitischer Spannungen, technologischer Umbrüche und hoher Aktienbewertungen zahle sich aktives Management wieder aus. „Statt sich von der Strömung treiben zu lassen, sollte man selbst schwimmen“, rät Fischer.