Mit ihrer Zinsanhebung um 0,5 Prozentpunkte hat sich die EZB für das kleinere Übel entschieden. „Alles andere als an der vorab bereits mehr oder weniger kommunizierten Entscheidung festzuhalten hätte unerwünschte Signale in den Markt gesendet“, sagt Mathias Beil, Leiter Private Banking der Hamburger Sutor Bank. „Insofern hat sich die EZB für das kleinere Übel entschieden.“
Die Begründung der EZB spiegelt diesen Spagat: So wird die Inflationsprognose zwar von 6,3 auf 5,3 Prozent reduziert, gleichzeitig sollen aber mögliche Gefahren im Finanzbereich abgefedert werden. „Eine Inflationsrate von 5,3 Prozent ist immer noch so hoch, dass die Notenbank unter normalen Umständen die Zinsen noch weiter erhöhen müsste“, sagt Beil. „Um die Gefahren für den Bankensektor abzufedern, wäre ein Ende der Zinserhöhungen hilfreicher. Hätte die EZB die Zinsanhebung jetzt verschoben, wäre das wohl auch so interpretiert worden, dass die Banken noch mehr ‘Leichen im Keller’ haben”, so Beil.
Und bei der Inflation ist das Ende noch nicht in Sicht, der Zielwert von um die zwei Prozent ist noch in weiter Ferne. „Die Tatsache, dass die Rentenreform in Frankreich durchgezogen werden soll und die unverhältnismäßig hohen Lohnforderungen hierzulande lassen in Bezug auf die Preissteigerungen nichts Gutes erwarten“, sagt Beil. Die Kerninflation ist so hoch wie noch nie seit Beginn der Währungsunion, das sorgt für Handlungsbedarf. Alles gute Gründe, die Zinsen weiter zu erhöhen.
Gleichzeitig können die Staaten an der südlichen europäischen Peripherie aber höhere Zinsen nicht dauerhaft schultern, ohne in Schwierigkeiten zu kommen. Hinzu kommt, dass die Konjunktur derzeit sehr fragil wirkt. „Jede schlechte Nachricht wird gleich so interpretiert, dass eine Rezession oder zumindest ein weiterer Abschwung am Aktienmarkt die Folge sein kann“, sagt Beil. Das war exemplarisch zu sehen an der Schließung der Silicon Valley Bank und setzte sich jetzt mit den Turbulenzen um die Credit Suisse fort. „Dabei sind die Fälle ganz anders gelagert, sie werden trotzdem in einen Topf geworfen und sorgen für den Absturz der Bankkurse“, so Beil. Hier haben die Notenbanken in den USA und in der Schweiz bereits erklärt, Hilfe leisten zu wollen. Eine Stützung also, die eine weitere Ansteckung verhindern soll.
Die Notenbanken sehen das Dilemma und hoffen immer noch, dass sich doch irgendwie alles zum Guten wenden wird. Doch angesichts der Inflationsdynamik werden weitere Zinsschritte folgen müssen, was historisch von wenigen Ausnahmen abgesehen immer zu einer mehr oder weniger starken Rezession geführt hat. „Das trifft auch die Banken wie die Silicon Valley Bank, deren Bilanzen durchaus nach der langen Niedrigzinsphase anfällig sind“, so Beil. „Die Phase eines fast unbegründeten Optimismus der vergangenen Monate droht jetzt in einen ebenso übertriebenen Pessimismus umzuschlagen“, erklärt Beil.