
Studie  unter Leitung der Universität Tübingen: Viele  Nicht-Antibiotika  schwächen die natürliche Schutzfunktion des Darms,  sodass sich  krankmachende Bakterien leichter dort ansiedeln können.
Der  menschliche Darm beherbergt ein dichtes Netzwerk aus  Mikroorganismen,  insgesamt als Darmmikrobiom bezeichnet, das unsere  Gesundheit aktiv  mitgestaltet. Die Mikroorganismen helfen bei der  Verdauung, trainieren  das Immunsystem – und schützen uns gegen  gefährliche Eindringlinge.  Dieser Schutz kann nicht nur durch  Antibiotika gestört werden, mit denen  bei einer Therapie das Wachstum  krankheitserregender Bakterien gehemmt  werden soll. Eine neue Studie  zeigt: Auch viele Medikamente, die  eigentlich nur auf den menschlichen  Körper wirken sollen, können das  Mikrobiom verändern. Dadurch können  Krankheitserreger leichter im Darm  wachsen und Infektionen verursachen.  Die Studie unter der Leitung von  Professorin Lisa Maier vom  Interfakultären Institut für Mikrobiologie  und Infektionsmedizin und  dem Exzellenzcluster „Kontrolle von  Mikroorganismen zur Bekämpfung von  Infektionen“ (CMFI) der Universität  Tübingen wurde im Fachjournal  Nature veröffentlicht.
Die  Forschenden untersuchten 53 gängige Nicht-Antibiotika, darunter   Allergiemittel, Antidepressiva oder Hormonpräparate. Ihre Wirkung wurde   im Labor in synthetischen und echten menschlichen Darmgemeinschaften   getestet. Das Ergebnis: Rund ein Drittel dieser Wirkstoffe förderte das   Wachstum von Salmonellen, Bakterien, die schwere Durchfallerkrankungen   auslösen können. Lisa Maier, die Seniorautorin der Studie, sagt: „Dieses   Ausmaß war vollkommen unerwartet. Viele dieser nicht-antibiotischen   Medikamente hemmen nützliche Darmbakterien, während krankmachende Keime   wie Salmonella Typhimurium unempfindlich sind. So entsteht im Mikrobiom   ein Ungleichgewicht, durch das Krankheitserreger im Vorteil sind.“
Krankheitserreger bleiben, schützende Bakterien verschwinden
Die  Forscherinnen und Forscher beobachteten einen ähnlichen Effekt bei   Mäusen, bei denen bestimmte Medikamente zu einer stärkeren Vermehrung   von Salmonellen führten. Die Folge war ein schwerer Verlauf einer   Salmonellose, gekennzeichnet durch einen schnellen Krankheitsausbruch   und starke Entzündungen. Der Wirkmechanismus sei vielschichtig,   berichten die Hauptautorin und der Hauptautor der Studie Dr. Anne   Grießhammer und Dr. Jacobo de la Cuesta aus der Forschungsgruppe von   Lisa Maier: Die Medikamente senkten die Gesamtbiomasse der Darmflora,   störten die Artenvielfalt oder beseitigten jene Bakterien, die   normalerweise mit den Krankheitserregern um Nährstoffe konkurrieren.   Dadurch verschwänden natürliche Konkurrenten krankmachender Keime wie   Salmonella, die sich dann ungehindert vermehren können.
„Unsere  Ergebnisse zeigen, dass bei der Einnahme von Medikamenten  nicht nur die  gewünschte therapeutische Wirkung beobachtet werden muss,  sondern auch  der Einfluss auf das Mikrobiom“, sagt Grießhammer. „Die  Einnahme von  Medikamenten ist häufig unvermeidbar. Aber selbst  Wirkstoffe mit  vermeintlich wenigen Nebenwirkungen können im Darm  sozusagen die  mikrobielle Schutzmauer zum Einsturz bringen.“ Und Maier ergänzt:  „Es  ist bekannt, dass Antibiotika die Darmflora stören können. Nun  haben wir  starke Hinweise, dass auch viele andere Medikamente diese  natürliche  Schutzbarriere unbemerkt schädigen. Das kann für geschwächte  oder ältere  Menschen gefährlich werden.“
Forderung nach Neubewertung von Medikamentenwirkungen
Die  Forschenden empfehlen, dass die Wirkung von Medikamenten auf das   Mikrobiom bei der Entwicklung systematisch mituntersucht werden sollte –   insbesondere bei Medikamentenklassen wie Antihistaminika,   Antipsychotika oder selektiven Östrogen-Rezeptormodulatoren und bei der   Kombination mehrerer Medikamente. Das Team von Lisa Maier hat ein neues   Hochdurchsatzverfahren entwickelt, mit dem sich schnell und  zuverlässig  testen lässt, wie Medikamente die Widerstandsfähigkeit des  Mikrobioms  unter Standardbedingungen beeinflussen. Dieses großangelegte  Screening  soll helfen, Risiken frühzeitig zu erkennen und Therapien  anzupassen.  Diese Erkenntnisse erfordern ein Umdenken in der  Arzneimittelforschung:  Medikamente sollten künftig nicht nur  pharmakologisch, sondern auch  mikrobiologisch bewertet werden. „Wer  das Mikrobiom stört, öffnet  Krankheitserregern Tür und Tor – es ist  integraler Bestandteil unserer  Gesundheit und muss als solches in der  Medizin betrachtet werden“,  betont Maier.
Rektorin Prof. Dr. Dr. h.c. (Dōshisha) Karla  Pollmann unterstreicht: „Die  Mikrobiomforschung in Tübingen hat hier  einen wichtigen  Erkenntnisgewinn vorzuweisen. Wenn bei der Entwicklung  von  Arzneimitteln die Wirkung auf das Mikrobiom einbezogen wird, besteht   die Hoffnung, dass Patientinnen und Patienten langfristig passendere   Therapien mit reduzierten Nebenwirkungen erhalten können.“
Originalpublikation:  Grießhammer A, de la  Cuesta-Zuluaga J, Müller P, Gekeler C, Homolak  Jan, Chang H, Schmitt K,  Planker C, Schmidtchen V, Gallage S, Bohn E,  Nguyen TH, Hetzer J,  Heikenwälder M, Huang KC, Zahir T, Lisa Maier.  (2025) Non-antibiotic  drugs disrupt colonization resistance against  pathogenic  Gammaproteobacteria. Nature 643. 10.1038/s41586-025-09217-2   (Online-Publikation erfolgte vor der Print-Publikation).
Quelle: © 2025 DeutschesGesundheitsPortal / Eberhard Karls Universität Tübingen
Foto: Pixabay